Buchempfehlung: Anna in der Wand

Anna ist ein heranwachsendes Mädchen und eigentlich längst im schulpflichtigen Alter. Genau das wird zum großen Problem, denn Anna möchte keinesfalls in die Schule. Nach einem Schockereignis - die Schulpsychologin steckt das Mädchen einfach in ihre Handtasche - macht sich Anna ihre „Unsichtbarkeit" zu Nutze und verschwindet hinter der Wand. Wortwörtlich. Sie erschafft sich ihre eigene Welt mit Geheimgängen und Gucklöchern, um weiterhin am Leben ihrer Mutter und Schwestern teilhaben zu können - ohne teilzuhaben. Hier fühlt sie sich wohl, nicht verurteilt, hier hat sie ihre Ruhe.

Die Geschichte, die Patrice Kindl von Anna erzählt, ist eigentlich eine, die auf viele Kinder und Heranwachsende - ja, sogar Erwachsene - zutrifft.

 

Denn sie erzählt von Ängsten und Unsicherheiten, besonders im Zusammenhang mit dem Erwachsenwerden, mit Veränderungen im Körper und im Fühlen. Sie erzählt von teilweise erdrückend wirkenden Persönlichkeiten, die wenig Raum für schüchterne und introvertierte Menschen lassen, die deren Bedürfnisse nicht sehen, sie übersehen. Und sie erzählt die Geschichte einer ersten Liebe, einer unglücklich endenden Liebe? Vielleicht handelt die Geschichte auch von Mut und vom Über-Sich-Hinauswachsen?

 

Der amerikanischen Autorin gelingt es, die Gefühle der Protagonistin in reale Bilder zu verwandeln: Sich verstecken zu wollen, sich nicht gesehen zu fühlen, eine „Wand” zwischen sich und anderen zu spüren, sich einen Schutzschild bauen zu wollen. Dabei geht Kindl ungemein liebevoll mit ihrer Hauptfigur um und lässt sie aus ihrer Sicht erzählen, fühlen, erklären - mit allen Wirrungen eines unsicheren Teenagermädchens. In ihrem Roman gelingt es Kindl immer wieder, surreale Momente zu schaffen, indem sie zum Beispiel Anna winzig klein darstellt - einer Puppe zum Verwechseln ähnlich oder in eine Handtasche passend. Viele Passagen wirken traumhaft-unwirklich, sodass sich der Leser für einen Moment in eine Fantasiewelt entführt fühlt, um gleich darauf wieder in der grotesken Realität eines 14-jährigen Mädchens zu landen, das in der Wand ihres Elternhauses lebt.

 

„Anna in der Wand” von Patrice Kindl

(1998 Ersterscheinung auf Deutsch, ©dtv junior extra)

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